Vorlesen
Kunst in Quarantäne 2.0

Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938)

Lungerndes Artistenmädchen, 1910
Holzschnitt
Moderne Galerie (Ausstellung "Welt - Bühne - Traum")

Der Holzschnitt Lungerndes Artistenmädchen gelangte im Jahr 1982 mit Eingliederung der Sammlung Kohl-Weigand in die Grafische Sammlung des Saarlandmuseums.

Er besticht durch seine radikale Flächigkeit. Auftreten und Körperhaltung des Mädchens zeugen von dessen außerordentlichem Selbstbewusstsein. In der gespreizten Beinhaltung manifestiert sich das erotische Potenzial, welches der Künstler dem Mädchenmodell zumaß. Diese aus heutiger Sicht befremdliche Interpretation der kindlichen Identität ist im Zusammenhang mit den reformerischen Diskursen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu sehen. Die Reformbewegungen propagierten die von bürgerlichen Zwängen befreite Körperlichkeit und schrieben der natürlichen Nacktheit des Kindes auch eine erotische Komponente zu. Gleichermaßen ist die abwertende Zuschreibung des „Lungerns“ vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Geringschätzung für das Schausteller- und Artistenmilieu in wilhelminischer Zeit zu verstehen.

(Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)

 

Begleitende Lyrik:

Rose Ausländer (1901-1988)

 

Rose Ausländer kam als Rosalie Beatrice Ruth Scherzer 1901 in Cernowitz in der Bukowina in Österreich-Ungarn zur Welt. 1921 wanderte sie in die USA aus und publizierte hier ihre ersten Gedichte. Zehn Jahre später kehrte sie nach Czernowitz zurück und arbeitete als Journalistin und Übersetzerin. 1939 erschien ihr erster Gedichtband „Der Regenbogen“ (die Auflage wird von den Nationalsozialisten fast vollständig vernichtet; es sind nur wenige Originalexemplare erhalten). Nur zwei Jahre später wurde sie in Czernowitz ins jüdische Ghetto gesperrt, wo sie Paul Celan kennenlernte. Mit dem Einmarsch der Roten Armee 1944 wurde sie befreit und zog erneut nach New York. Seit 1965 lebte sie in Düsseldorf, in diesem Jahr erschien auch ihr zweiter Gedichtband Blinder Sommer, der ihr zum literarischen Durchbruch verhalf. „Schreiben ist Leben. Überleben“ war sowohl ihr Lebensmotto als auch einer ihrer bekanntesten Verse. Rose Ausländer starb 1988 in Düsseldorf.

 

Zirkuskind

Ich bin ein Zirkuskind,
spiele mit Einfällen
Bälle auf – ab.

Ich geh auf dem Seil
über die Arena
der Erde,

reite auf einem Flügelpferd
über ein Mohnfeld,
wo der Traum wächst.

Werfe dir Traumbälle zu.

Fang sie auf.

 

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