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Ernst Barlach (1870-1938)

Lesende Mönche, 1932
Bronze
Moderne Galerie

 

Für die künstlerische Entwicklung von Ernst Barlach wurde nicht etwa sein Paris-Aufenthalt, den es 1895 selbstverständlich auch gab, entscheidend, sondern seine Rußland-Reise von 1906. Die Begegnung mit den einfachen, von westlicher Zivilisation unberührten, bäuerlich geprägten Menschen im damaligen Rußland hatte in seiner Kunst nachhaltige Wirkung. So wurden für ihn nicht Fragen eines westlich beeinflußten Formalismus bedeutsam, Barlach galt vielmehr bald als Mystiker und Gottsucher, der den existentiellen Fragen des Menschseins, dem Verhältnis des Menschen zur göttlichen Sphäre in seinen Werken nachging.

"Ich bin viel Christ, viel Heide, viel Buddhist, viel viel sonst. Nordisch, gespenstisch, hexensüchtig", notierte Barlach 1916 in seinem Tagebuch und beschrieb so seine Position, die die Überwindung des Diesseitigen suchte, ohne in engem Sinn christliche Vorstellungen zu vertreten.

Gegen Ende der zwanziger Jahre führte Ernst Barlach eine Reihe von Denkmälern für die Gefallenen des Weltkrieges aus, so in Güstrow (1927), in Magdeburg (1929) und Hamburg (1931). Sie wurden von nationalistisch-reaktionärer Seite jeweils ablehnend kommentiert. Die Anerkennung des Werkes von Barlach, aber auch seine gleichzeitige Verfemung begann in diesen Jahren. Während Max Liebermann zur Eröffnung der Ausstellung zum 60. Geburtstag Barlachs im Januar 1930 in der Preußischen Akademie der Künste unter anderem äußerte: "Kein hohes Pathos, sondern eindringlichste Menschlichkeit entströmt seinem Werke: Es lebt und wird leben", war es 1932 für Paul Schultze-Naumburg, den Leiter der Hochschulen für Baukunst, bildende Künste und Handwerk in Weimar, "der leiblich und seelisch schwer entartete Mensch mongoloiden Blutes, der bekanntlich von dem nordischen Menschen durch Abgründe getrennt ist", den Barlach darstellte.

In dieser Zeit bereits rassistisch beeinflußter Polemik wurden die "Lesenden Mönche" gegossen, die - im ruhigen Nebeneinander und dem Studium der Schrift vereint - doch durch ihr Alter und in ihrem nachdenklichen Bei-sich-selbst-Sein voneinander getrennt sind. Einerseits in ihren schweren, von Kutten umschlossenen, vereinfachten Körperformen ganz irdisch-diesseitig, gehören sie gleichzeitig im konzentrierten Ernst ihrer Köpfe doch einer geistigen Sphäre zu.

Lesende in einem Zwischenreich von Realität und Geistigkeit hat Barlach, der auch Schriftsteller war und dessen literarisches Werk in den zwanziger Jahren nicht geringe Beachtung fand, in Zeichnungen und in der Plastik mehrfach dargestellt. Die Gruppe nimmt Anregungen der gotischen Skulptur des 14. Jahrhunderts auf.

(Ernst Gerhard Güse, in: Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, 1999)

 

Zum Bestand an Plastiken von Barlach im Saarlandmuseum zählen auch die Bronzeplastiken "Der Sonnenanbeter" (erworben 1953) und "Der Rächer".

Die Plastiken "Lesende Mönche" und "Der Rächer" wurden beide im Jahr 1955 erworben, beide tragen den Gießerstempel: H. Noack, Berlin. Während das Modell für die Figur "Der Rächer" 1914 entstand und vermutlich 1922/23 oder 1930 gegossen wurde, entstand das Modell der "Lesenden Mönche" im Jahr 1921, der Guss erfolgte 1932.

 

 

Begleitende Literatur

Alfons Petzold (1882-1923)

Der österreichische Schriftsteller Alfons Petzold (Pseudonym De Profundis) war zu seinen Lebzeiten vor allem als (sozialdemokratischer) Arbeiterdichter bekannt. Nach ersten Veröffentlichungen seiner Gedichtbände "Trotz alledem" (1910) und "Seltsame Musik" (1911) erschien 1913 sein erster Roman "Erde", in dem er seine seit 1908 durch eine Tuberkulose-Erkrankung bedingten Krankenhaus- und Sanatoriumsaufenthalte schilderte.

Zu seinen erfolgreichsten Büchern zählte der 1920 publizierte autobiografische Roman "Das rauhe Leben", in dem er seine Kindheit und Jugend erzählt.

Petzold starb 1923 an einem Lungenleiden in Kitzbühl. 

Während er im Dritten Reich noch als "Heimatdichter" geduldet war, geriet er nach dem Zweiten Weltkrieg in der Öffentlichkeit nahezu in Vergessenheit.

Das Gedicht "Der Mönch der Zeit" entstammt der 1919 publizierten Gedichtsammlung "Der Dornbusch. Soziale Gedichte".

 

 

Der Mönch der Zeit

Wie ein Mönch in Tun und Wort
lebe ich in dunkler Zelle,
doch es trägt mich oft die Welle
innerlichster Sehnsucht fort.

Eingehüllt in das Gewand
meiner bußenreichen Stunden,
hab' ich dennoch oft gefunden
Wege in das freie Land.

Über manche steile Wand,
hohe Berge, schwanke Brücken,
bis ich glühend vor Entzücken
mitten in der Sonne stand.

Immer kommt es mir dann vor:
Bist du, Mönch, nicht Gott begegnet,
als die Sehnsucht dich gesegnet
hinter deines Klosters Tor?

 

 

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