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Engelsrelief

romanisch, 12. Jh.
Kalkstein
Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken (Dauerleihgabe der Villeroy & Boch AG)

 

In Mettlach erhebt sich direkt am Saarufer majestätisch die Prachtfassade der sogenannten Alten Abtei – heutzutage Stammsitz und Konzernzentrale des bekannten Keramikherstellers Villeroy & Boch. Das schlossartig anmutende Gebäude ließ sich der Benediktinerorden des Klosters Mettlach Mitte des 18. Jahrhunderts durch den Architekten Christian Kretzschmar in spätbarocken Formen neu errichten. Nach der Französischen Revolution stand es leer, bis Jean François Boch Anfang des 19. Jahrhunderts die Fabrik einrichtete. Das Kloster selbst hatte mit Gründung im 7. Jahrhundert eine sehr lange Ortstradition an dieser Stelle, weshalb aus früheren Epochen entsprechende Vorgängerbauten dort standen. „[…] berichtet, daß die Peterskirche und wohl auch Teile des Kreuzgangs bis nach 1811 standen, als Herr von Boch die Grundstücke erwarb. […] [Neben Kirche und Sakristei] schloß sich ein niedriger Kreuzgang an, geschmückt mit den mannigfaltigsten romanischen Kapitälen. Der Kreuzgang war zur Zeit, als das Kloster aufgehoben wurde, schon größtenteils abgerissen.“

Der archäologie- und geschichtsbegeisterte nächste Firmenchef Eugen von Boch (1809-1898) ließ aus diesen mittelalterlichen Ruinen im Abteipark die kunsthistorisch wertvollen, skulptierten Bauteile bergen und richtete sich mit diesem Konvolut von etwa 40-50 Stücken ein kleines Lapidarium ein. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs musste diese Steinsammlung ihren angestammten Platz im Firmengebäude verlassen und geriet danach in Vergessenheit in einem Luftschutzkeller in den Kellern der Abtei. 2015 wurden sie vom Team des Museums für Vor- Frühgeschichte im Rahmen der Recherchen zur Sonderausstellung „Eugen von Boch“ wiederentdeckt und ausgestellt und sind erfreulicherweise seitdem als Dauerleihgaben im Bestand des Museums verblieben.

Die skulptierten Objekte sind nicht aus lokalem Sandstein gearbeitet, sondern aus importiertem, grauweißem Kalkstein, der eine feine Bearbeitung zuließ. An einzelnen Stücken finden sich noch Reste polychromer Farbfassungen. Sie datieren in die Zeitspanne 1160 bis 1180. In dieser Phase der Prosperität scheint das Kloster einen Ausbau erfahren zu haben, bei dem die Bauherren sich den Luxus des Importsteines gönnen konnten. Es finden sich vor allem Kapitelle (oberer Abschluss von Säulen) in etwa drei Formatgrößen, die vermutlich zu der Kirche, dem Kreuzgang und zu Chorschranken oder einem Lettner gehörten. Die plastische Ausgestaltung ist sehr abwechslungsreich und mannigfaltig, von schlichten Würfelkapitellen über stilisierte, vegetabile Verzierung mit Palmetten und Blattranken zu figürlichen Darstellungen mit Vögeln, Löwen und Fabelwesen. So zeigt ein Kapitell Mönche mit aufgeblähten, grotesk anmutenden Köpfen und Schriftrollen, ein anderes Adler, ein drittes Drachen mit Flügeln und Schuppen. Ein Kapitell erfordert besonders scharfen Blick, im dichten Rankenwerk spielt sich eine Jagdszene ab. Ein Jäger, das Jagdhorn an seinem Mund und seine Hundemeute hinter sich herziehend, und seine Beute, ein Bär, scheinen von den Pflanzen nahezu umschlungen zu werden. Derartig verzierte Kapitelle mit Tierdarstellungen, Dämonen und Grotesken sind typisch für den Bauschmuck der Romanik.

Neben den Kapitellen und mehreren Säulenbasen gehört auch ein Relief mit Engel zur Steinsammlung. Es ist nicht zu klären, wo an dem sakralen Bauwerk es hingehörte – die ungewöhnliche, einseitig abgeschrägte Form lässt keine klare Zuordnung zu. Der Engel mit Scheibennimbus (Heiligenschein) hält in seiner Rechten ein polygonales Weihrauchfass (Turibulum), das wie für dieses liturgische Gerät typisch an einer Dreierkette aufgehängt ist, die in einem Ring mündet. Die Büchse (?) in der linken Hand ist nicht näher zu bestimmen. Bekleidet ist er mit einem Unterkleid und einem Mantel, der durch eine Scheibenfibel unter dem Hals zusammengehalten wird. Sein Körper ist in sich nach rechts geneigt. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den Wurf der sich kräuselnden Gewandfalten und die langen Schwungfedern der Flügel – der Engel scheint so zu schweben.

(Thomas Martin, Sammlungsleiter, Museum für Vor- und Frühgeschichte)

 

 

Begleitende Lyrik

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

„Das Buch der Bilder“ ist Rainer Maria Rilkes heterogenste Gedichtsammlung, denn die hierin versammelten 45 Gedichte (und ein Zyklus „Die Stimmen“) entstehen über einen Zeitraum von September 1898 bis Juni 1906. „Das Buch der Bilder“ erschien in fünf (teils inhaltlich veränderten) Auflagen.

Rilke schrieb am 29. Oktober 1901 an seinen Verleger Axel Juncker (die ersten vier Auflagen der Sammlung „Das Buch der Bilder“ ab Juli 1902 bis 1913 erschienen im Axel Juncker Verlag, die fünfte Auflage 1913 erstmals im Insel-Verlag): „Diese Sammlung, die ich unter dem Namen „Das Buch der Bilder“ zusammenfasse, ist das Kostbarste was ich aus diesen Jahren habe […] Es giebt nichts Unwichtiges, nichts unfestliches da. Jedes Wort, das mitgehen darf im Triumphzug des Verses, muß schreiten und das Kleinste darf dem größten nicht nachstehen an äußerer Würde und Schönheit.“

Das Gedicht „Die Engel“ entstand am 22. Juli 1899 in Berlin-Schmargendorf und findet sich im "Buch der Bilder" im Abschnitt "Des Ersten Buches Erster Teil".

 

Die Engel

Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.

Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.

Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.

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