Vorlesen

James Robertson (1813-1888)

Sphinx im Pyramidenfelde zu Gizeh, um 1855
Fotografie (albuminiertes Salzpapier auf Karton)
Fotografische Sammlung

 

Zum insgesamt 34 099 Objekte umfassenden Bestand der fotografischen Sammlung der Stiftungsmuseen gehören auch 42 Reisefotografien aus den 1850er Jahren. Sie stammen unter anderem von Auguste Salzmann, James Robertson, Philippos Margaritis und Mendel John Diness. Allesamt waren sie Pioniere auf ihrem Gebiet. Die Fotografien entstanden in einer Zeit, als Fotografen entweder aus eigenem Antrieb auf Reisen gingen oder entsandt wurden, Bilder aus der Fremde nach Europa zu liefern. Oder sie waren im Zuge des kolonialen Engagements ihrer Heimatnationen in die Fremde gelangt und lieferten von dort ihre Bilder.

Das fotografische Interesse am Orient hängt mit der Kultur der Orientreise zusammen. Sie geht ursprünglich auf die religiös motivierte Pilgerreise nach Jerusalem zurück. Schon zu Beginn der Neuzeit, während des Übergangs vom 15. zum 16. Jahrhundert, löste langsam die Curiositas, eine wissenschaftlich begründete Neugier, das religiöse Moment ab. Mit dem Drang, Fremdes zu erforschen, begann das Zeitalter der Entdeckungsreisen, aber auch das der Bildungsreise. Im 18. Jahrhundert war dann die Bildungsreise gleichzusetzen mit der Grand Tour – eine besonders in England beliebte Reise zu den Kunstschätzen und Monumenten der italienischen Renaissance, zu den römischen und später im Zuge des Neoklassizismus auch mehr und mehr zu den griechischen Altertümern.

Als mit dem Ägyptenfeldzug Napoleons 1799, dem zunehmenden Einfluss Englands in Palästina, wie auch mit der Errichtung des griechischen Königreiches, das Osmanische Reich zunehmend unter europäischen Einfluss geriet, erstarkte auch das Interesse an Orientreisen, und bald schon begaben sich die ersten Fotografen in diese Gebiete. […]

Hauptanziehungspunkte für Orientreisende waren sicherlich die Monumente aus der Zeit der alten Reiche in Ägypten, die Pyramiden und die Sphinx von Gizeh, die zum Zeitpunkt der Aufnahme von James Robertson um 1855 bis auf den ohnehin sichtbaren Kopf, noch nicht freigelegt war. Dies geschah erst in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. […] Die Fotografie erlaubt es uns heute, den verwunschenen Eindruck der Sphinx in einer objektiven Qualität den Forschern, Abenteurern und Reisenden nachzuempfinden. Die Sphinx von Gizeh ist in ihrer archetypischen Rätselhaftigkeit genereller Ausdruck für das Interesse an Orientreisen. Sie ist die geheimnisvolle Projektionsfläche europäischer Vorstellungen von Fremdheit in zeitlich-historischer, geografischer und kultureller Hinsicht. Das Wissen um untergegangene ebenbürtige Kulturen, deren Ruinen die Tragik des kulturellen Untergangs schlechthin vermitteln, stellt nicht nur die eigene Überlegenheit, sondern auch die eigene Zukunft in Frage. […]

Der 1813 im britischen Middlesex geborene Robertson war als britischer Graveur in der Münze am Hof des Sultans in Konstantinopel beschäftigt. Von dort aus bereiste er Griechenland, Palästina und Ägypten und fotografierte dort die Altertümer. Er gilt zudem als einer der ersten Fotojournalisten, der militärische Auseinandersetzungen fotodokumentarisch festhielt. Gemeinsam mit seinem italienischen Kollegen Felice Beato fotografierte er u.a. in Balaklawa/Krim Mitte der 1850er Jahre den Krimkrieg.

(Dr. Roland Augustin, in: Gebanntes Licht, Die Fotografie im Saarlandmuseum von 1844 bis 1995)

 

 

Begleitende Lyrik

Paul Celan (1920-1970)

Der jüdische Dichter Paul Celan, 1920 im rumänischen Czernowitz (heute Ukraine) geboren, und zeitlebens auf Deutsch schreibend, war im Dezember 1947 nach Wien gekommen. Hier lernte er wenige Monate später, am 16. Mai 1948, die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann kennen. Beide waren damals in der Öffentlichkeit noch kaum bekannt, wenngleich Celan sein bekanntestes Gedicht „Todesfuge“ bereits geschrieben hatte. Sechs Wochen verbrachten sie in Wien als Liebespaar. Davon erfuhr die Öffentlichkeit jedoch erst durch einen vor wenigen Jahren publizierten Briefwechsel. Das vor allem im Jahr 2020 immer wieder zitierte Gedicht „Corona“ von Paul Celan entstand im Frühjahr 1948 und ist Ingeborg Bachmann als Liebesgedicht gewidmet.

In die Zeit ihrer Liebesbeziehung in Wien fiel Ingeborg Bachmanns 22. Geburtstag am 25. Juni 1948. Celan schenkte ihr zum Geburtstag das Gedicht „In Aegypten“, das er bereits am 23. Mai geschrieben hatte. Das Gedicht mit Widmung - „In Aegypten Für Ingeborg… Der peinlich Genauen, 22 Jahre nach ihrem Geburtstag. Der peinlich Ungenaue“ – schrieb Celan in einen Bildband von Henri Matisse.

Das Gedicht wurde erstmals publiziert in „Die Wandlung“. Eine Monatsschrift, Jg. IV, Heft 3, März 1949.

Paul Celan starb (vermutlich) am 20. April 1970 durch Suizid in Paris.

 

 

In Aegypten

Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.

Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.

Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noëmi! Mirjam!

Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.

Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.

Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noëmi sagen:

Seht, ich schlaf bei ihr!

Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.

Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noëmi.

Du sollst zur Fremden sagen:

Sieh, ich schlief bei diesen!

 

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