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Kunst in Quarantäne 2.0

Karl Friedrich Johann Von Müller (1813-1881)

Liegender Atlas in Agrigent/ Sizilien 1855
Feder und Pinsel in Braun über Bleistift auf Papier
Alte Sammlung
 

Karl Friedrich Johann von Müller entstammte einer württembergischen Künstlerfamilie. Sein Großvater Johann Gotthard Müller wurde als Stuttgarter Akademieprofessor und Kupferstecher international bekannt. Sein Vater, Friedrich Wilhelm Müller, war Maler und Akademieprofessor in Dresden, während sein Onkel der weithin berühmte Bildhauer Johann Heinrich Dannecker war. Seine erste Ausbildung erhielt er 1823 denn auch bei seinem Onkel, 1831 studierte er in der Münchner Akademie bei Peter Cornelius, zwischen 1833 und 1837 in Paris bei Jean-Auguste-Dominique Ingres. 1837 bis 1849 folgte von Müller seinem Lehrer nach Rom, der dort Direktor der französischen Akademie wurde. […]

Karl von Müller heiratete 1855 Emma Stumm, Schwester des Industriellen und umstrittenen deutschen Sozialpolitikers Carl Ferdinand von Stumm-Halberg. Wenn von Müller bisher recht gut von seinen Einkünften als Maler leben konnte, genoss er über seine Gattin nunmehr einen sehr hohen Lebensstandard. Dazu gehörten zahlreiche Reisen, die beide von Paris aus, wo sie wohnten, in die Schweiz, nach Italien und nach Deutschland führten.

Seine Reisen dokumentierte Müller nicht nur malerisch, sondern er verfasste auch Reiseberichte. Das Blatt der Alten Sammlung "Liegender Atlas in Agrigent/Sizilien" zeigt einen Mitreisenden von Karl von Müller auf einem Esel reitend, wie er eine auf dem Boden liegende Kolossalstatue betrachtet, die für den heute in Trümmern liegenden Tempel des Olympischen Zeus als acht Meter hoher, das Gebälk tragender Atlas bestimmt war.

Von Müller, der Agrigent nach damaliger Nennung "Girgenti" bezeichnet, trägt in sein Tagebuch ein: "[…] Die kolossalen, umgestürzten Säulen sind imposant. Noch mehr aber der noch tiefer gelegene Tempel des Zeus Olympios. Der Gigant, der in der Mitte liegt, bildete eine Caryatide […] und zwar als 2tes Stockwerk über den Säulen. Von außen hatte der Tempel nur Halbsäulen, deren Dimensionen aber wirklich enorm sind."

(Stefan Heinlein, in: Der Zauber der Landschaft, 2011)

 

Begleitende Lyrik

Wilhelm Friedrich Waiblinger (1804-1830)

Der 1804 in Heilbronn geborene und mit nur 25 Jahren in Rom an einer Lungenentzündung gestorbene Dichter Wilhelm Friedrich Waiblinger ist vor allem durch seine Freundschaften mit Eduard Mörike und Friedrich Hölderlin in die Literaturgeschichte eingegangen. Waiblingers Essay „Friedrich Hölderlin’s Leben, Dichtung und Wahnsinn“ gilt als Beginn der Hölderlin-Forschung. Im Jahr 1987 hat Peter Härtling dem literarischen Außenseiter mit seinem Roman „Waiblingers Augen“ ein Denkmal gesetzt.

Seit 1826 lebte Waiblinger in Rom und unternahm von hier aus 1829 eine Sizilienreise, bei der das Gedicht „Agrigent“ entstand.

 

Agrigent

Wie aus heiterstem Grün, o erhabenste Tempel Girgentis,

Wie vom Himmel umglänzt steigt ihr der Nachwelt empor!

Zwar in Trümmer schlug euch die Zeit; wohin ich mich wende,

Zu des olympischen Zeus altem, titanischen Haus,

Sei's zum furchtbaren Schutt des Herakles, sei's zu dem Hügel,

Wo vom Frühling umblüht, Juno Lucina, du einst,

Oder die Eintracht dort in dorischer Schöne gewohnet,

Sei's wo der Tempel Vulkans über der blumigen Kluft

Von Limonen umduftet, umlacht von Indiens Feigen,

Kaum den Blick mir zum Strand, kaum bis zum Meere gewährt.

Euch umglühet Natur, und selbst aus dem Grab in der Mauer

Strebt der blühende Baum mächtiger Aloe noch.

Jüngst so irrt' ich im Grün, mir lachten goldene Früchte,

Hier entsprang der Granat, dort die Orange dem Laub.

Eine Nachtigall schlug und die Tempel entragten den Hainen,

Da erfüllete mir Wehmuth das einsame Herz,

Unaussprechliche fast. So oft ins zerfallene Leben,

Oft in die Trümmer des Glücks, oft in der Liebe Verlust

Klagt ein süßer, ein seliger Laut mit der Nachtigall Stimme,

Und das Schöne vielleicht wohnet am liebsten im Schmerz. 

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